„Wir wählen den Frieden“ Internationales Jugendtreffen in Krakau und Gründung der Stiftung „socioMovens. Giving Europa a Soul“
90 Ehemalige der socioMovens-Projektwochen aus Mittel- und Osteuropa treffen sich eine Woche lang in der Nähe von Krakau. Unter dem Motto „Compact for Europa – united with Ukraine“ beschäftigen sich die Jugendlichen vor allem mit dem Krieg im Nachbarland Ukraine. Durch Austausch, Gesang und Tanz formen sie nach und nach eine Gemeinschaft – über Sprachbarrieren hinweg. Den Abschluss des Treffens bildet die Gründung von „socioMovens. Giving Europe a Soul“ als Jugendbewegung.
Es ist schon dunkel geworden auf dem Gelände des Internats „Liceum Ogólnokształcące im. Josephine Gebert“ in der einsamen Ortschaft Piekary, nahe Krakau. Die Schüler:innen haben Sommerferien. Um diese Jahreszeit ist normalerweise kein Laut zu hören außer dem Gesang der Schwalben und der Schritte der Hausmeisterin bei ihrem abendlichen Rundgang über das Gelände. Doch in dieser Nacht im Juli ist alles anders: Aus der Aula klingt laute Musik, Scheinwerfer werfen Licht durch die Fenster. Der Saal ist gefüllt mit Jugendlichen. Sie jubeln laut, werfen ihre Hände in die Luft, springen im Saal auf und ab. Es ist schon die zweite Zugabe und doch sind sie voller Energie. Ihre Augen leuchten. Sie singen einstimmig mit der Band auf der Bühne: „We choose peace“ – Wir wählen den Frieden.
We’re gonna / Rise up, rise up / We’re a million different colors dancing to the beat
Rise up, rise up 7 / We’re a million voices singing as one: / We choose peace!
Das Konzert der International Performing Arts Group Gen Verde mit Jugendlichen aus verschiedenen Ländern bildet den Höhepunkt eines internationalen Jugendtreffens, organisiert von der Kommende Dortmund und ihrer Stiftung „socioMovens. Giving Europa a Soul“. Vom 25. bis zum 30. Juli 2022 treffen sich 90 Jugendliche aus Ungarn, Rumänien, Kasachstan, Polen, Deutschland, Kroatien, Ukraine und Slowakei in der Nähe von Krakau (Polen). Sie sind Ehemalige der jugendsozialen Projektwochen in ihren Ländern, in denen neben Gemeinschaft und Spiritualität der Einsatz für Menschen am Rand der Gesellschaft im Mittelpunkt steht. Bisher haben insgesamt 55 Projektwochen stattgefunden und es konnten über 900 Jugendliche aus acht Ländern erreicht werden. Die alle paar Jahre stattfindende internationale Begegnung soll der Vernetzung dienen. Das diesjährige Treffen mit dem Titel „Compact for Europe 2022 – united with Ukraine“ stellt thematisch den Krieg in der Ukraine und die Situation der Geflüchteten in den Mittelpunkt. Vertreter der Fazenda da Esperança, der Campus-Weggemeinschaft und der Konrad-Adenauer-Stiftung sind mit vor Ort. 2015 und 2018 fanden bereits zwei internationale Jugendtreffen mit insgesamt 300 Teilnehmer:innen in Berlin und Budapest statt.
Krieg in der Ukraine als Thema des Treffens
Piekary liegt in der Nähe von Krakau am Ufer der Weichsel und ist eine Ortschaft mit anderthalbtausend Einwohnern. Zwischen Wäldern und Wiesen thront am Flussufer auf einem Kalksteinfelsen die tausend Jahre alte Benediktinerabtei Tyniec. Die Stadt Oświęcim, wo im Zweiten Weltkrieg im Konzentrations- und Vernichtungslager Auschwitz Millionen Menschen ermordet wurden, ist nur eine Stunde Autofahrt entfernt. Eine halbe Stunde in die andere Richtung liegt Krakau, das Wissenschafts-, Kunst- und Kulturzentrum. Piekary ist ein Ort inmitten von Kontrasten.
Kontraste prägen auch das Treffen: Am Abend Jubel und Party in der Aula. Am Morgen des gleichen Tages Bestürzung und Tränen in der Kirche: Olga Sikyrynska aus der Ukraine, Projektwochenleiterin für socioMovens, steht am Amboss und blickt in betroffene Gesichter in den Kirchenbänken. Sie ist nervös, denn zum ersten Mal berichtet sie von der Situation des Krieges in ihrem Heimatland. Zwei Tage zuvor hat sie noch einen Medikamente-Transport in den Donbas begleitet. Sie ist 23 Jahre alt und doch ihren Augen sieht man an, dass sie in den vergangenen Monaten zu viel gesehen haben. „Sie haben eine ganze Generation von Ukrainern zerstört“, sagt sie. „Auch, wenn wir den Krieg gewinnen, wird eine ganze Generation kaputt sein. Ich werde mein Leben nie mehr so leben können wie ich es gewohnt war.“
Eine Gemeinschaft entsteht
Neben der Beschäftigung mit der belastenden Situation in der Ukraine, gibt es aber auch eine wachsende Leichtigkeit der Teilnehmer:innen untereinander im Lauf der Woche; man mag von kleinen Wundern sprechen: Teenager tanzen zusammen Volkstänze, ohne dass jemand es peinlich findet. In den Workshops mit Gen Verde üben sie in den Tagen vor dem Konzert Schauspiel, Gesang, Tanz und Trommeln und stehen drei Tage später auf der Bühne. Einige blühen dadurch regelrecht auf – wie die Gruppe aus Kasachstan: Während sich am Anfang nur eine Teilnehmerin traut, Englisch zu sprechen, haben am Ende der Woche fast alle Kontakte zu den Jugendlichen der anderen Nationen geknüpft – über Sprachbarrieren hinweg.
Priesteramtskandidat Mateusz Marchlewski aus Polen sagt zu Beginn der Woche: „Wir genießen die Gemeinschaft mit allen, die wir hier treffen. Wir hoffen, dass wir uns untereinander besser kennenlernen und gemeinsam großartiges vollbringen werden.“ Durch Begegnungen, Gespräche, gemeinsames Singen, Tanzen und Feiern entsteht eine Gemeinschaft zwischen den Jugendlichen. Auch das Sightseeing kommt nicht zu kurz, auch wenn sich Krakau nur von seiner verregneten Seite zeigt. „Es war wunderbar mit den Jugendlichen der anderen Nationen zu sprechen – über die Ukraine, den Krieg dort und die Frage, wie wir helfen können“, sagt Borbála Nagy aus Ungarn. „Es ist wirklich gut, dass wir ähnliche Ansichten haben und einander verstehen.“
Vor dem Konzert am Freitagabend steht zunächst die Gründung von socioMovens als Jugendbewegung an: Die einzelnen Ländergruppen stellen sich nacheinander vor und bekommen anschließend von Prälat Dr. Peter Klasvogt, Direktor der Kommende Dortmund, ihre Mitgliedsausweise überreicht – ein Symbol der Verbundenheit über das Treffen hinaus. Als Festredner spricht der ehemalige Abgeordnete des Europaparlaments Elmar Brok zum Thema „Vermächtnis und Auftrag: Die Vision von Jacques Delors: ‚Europa eine Seele geben‘“ und gibt damit der Bewegung eine sozialethische Grundlage. „Europa eine Seele geben“ ist das Motto der Jugendbewegung. „Diese eine Seele Europas“, sagt Teilnehmer Ayoub Abbou am Ende der Woche, „diese eine Seele kann man hier förmlich spüren“.